Andris Nelsons dirigierte im Musikverein erstmals die Wiener Symphoniker und brillierte mit Richard Strauss. Vor der Pause gab man Schostakowitschs Erstes Violinkonzert mit der ebenso hoch gelobten Geigerin Skride.

In zwei höchst ungleiche Hälften zerfiel das jüngste Konzert der Wiener Symphoniker, das Wiens Musikfreunden das Debüt des allseits geschätzten jungen Dirigenten Andris Nelsons bescherte. Vor der Pause gab man Schostakowitschs Erstes Violinkonzert mit der international ebenso hoch gelobten Geigerin Baiba Skride. Sie freilich neigt zu extremem Portamento-Spiel, vor allem aber zu sehr freier Rhythmik. Das führte vor allem im langsamen Satz dazu, dass man mehr aneinander vorbei als miteinander musizierte. Die Bach-Solozugabe bestätigte im Übrigen die Großzügigkeit, mit der Skride an Fragen melodischer Gestaltung und Gliederung herangeht. Das Publikum freilich dankte herzlich für viele schöne Töne, die es zu hören bekommen hatte.

Architektonischer musikalischer Zusammenhang stellte sich erst bei Richard Strauss' „Heldenleben“ ein. Anders als bei Schostakowitsch, als manches auch im Orchester breiig zu verschwimmen drohte, hatte Nelsons hier offenkundig akribisch gearbeitet. Was Durchhörbarkeit und kluge dynamische Disposition betrifft, inspirierte der junge Maestro die Symphoniker zu einer Meisterleistung. Die Luftsprünge, mit denen Nelsons wie weiland Leonard Bernstein besonders enthusiastische Momente markiert, schienen hier durch die klangliche Realität motiviert.

Die wiederum beeinflusst Nelsons durch das strahlende Lächeln, mit dem er die Musiker animiert – ohne sie auch nur einen Moment lang aus ihrer Verantwortung zu entlassen, allzeit mit ganzem Einsatz zu agieren.

Das hat sich Nelsons wohl von seinem Mentor Mariss Jansons abgeschaut. Ähnlich sympathisch wie dieser wirkt er auf das Publikum. Gewiss, Nelsons geht, wie die meisten jungen Interpreten bei Strauss, angesichts der „schönen Stellen“, vor allem im Finale der Tondichtung, in die Langsamkeitsfalle. Das gibt sich, wie man weiß, mit der Zeit von allein. Im Übrigen hatte Konzertmeister Florian Zwiauer Gelegenheit, sein vielleicht konkurrenzlos souveränes Solo in Ruhe zu zelebrieren: Bei den heikelsten zweistimmigen Passagen singt er ein veritables Duett mit sich selbst.

Nelsons wird hoffentlich wiederkehren, mit den Symphonikern weiterarbeiten und noch „hoffentlicher“ sein eminentes Talent nicht mit allzu frühen Debüts (à la Bayreuth) vor der Zeit verheizen lassen.

Artikel von: Dr. Wilhelm Sinkovicz (die Presse)

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Vier Karrieren
„Ich hatte eigentlich vier verschiedene Karrieren, und drei davon habe ich noch immer, die eines Konzertmeisters, eines Lehrenden an einer führenden Musikuniversität – ich leite seit 1983 eine Violinklasse an der Konservatorium Wien Privatuniversität – und manchmal die eines Solisten“, fasst Zwiauer seinen musikalischen Werdegang zusammen. Zunächst – und dieser Name fällt mehrfach im Gespräch – erhielt er eine Ausbildung als Solist und Kammermusiker bei Franz Samohyl (der Todestag dieses wohl bedeutendsten Wiener Violin-Pädagogen jährt sich heuer zum zehnten Mal). Nach verschiedenen Preisen bei Wettbewerben stand er vor der Entscheidung, eine Laufbahn als Solist oder Kammermusiker einzuschlagen. „Aufgrund meiner Persönlichkeit habe ich mich damals schwerpunktmäßig für das Streichquartett entschieden. Mit dem Franz-Schubert-Quartett hatte ich eine schöne internationale Karriere mit Konzerten im In-, und Ausland, Schallplattenverträgen und Zyklen an den wichtigen Häusern in London, Paris, Washington und Wien sowie einer ,quartet-in-residence‘ Verpflichtung am RNCM (Royal Northern College of Music) in Manchester und an der Musikuniversität Graz“, beschreibt Zwiauer diesen Lebensabschnitt. Obwohl diese Zeit eine sehr glückliche war, erhielten wirtschaftliche Sachzwänge über die Jahre eine größere Bedeutung. „Es ist schwierig bis unmöglich, von der Kammermusik zu leben, vor allem, wenn man wie ich eine Familie gründet und vier Kinder hat.“

Im Zuge seiner Lehrtätigkeit am Konservatorium der Stadt Wien erzählte ihm ein Schüler, der bereits bei den Wiener Symphonikern engagiert war, von der offenen Stelle des Ersten Konzertmeisters und ob er nicht an dieser interessiert sei. „Anfänglich zögerte ich und überlegte mir lange, ob diese Tätigkeit für mich die richtige sei. Aus verschiedenen Gründen wurde die Stelle lange nicht besetzt, wodurch ich ein ganzes Jahr Zeit hatte, mir diese Entscheidung zu überlegen. Es war eine große Herausforderung, weil ich trotz meiner 35 Jahre über keinerlei Orchestererfahrung verfügte“, erzählt Zwiauer selbstkritisch. Als er schließlich engagiert wurde, zeigten sich die Schwierigkeiten der neuen Aufgabe unmittelbar. „Ich habe die Quartett-Tätigkeit stark reduziert, weil mich das Orchesterrepertoire voll in Anspruch nahm. Die Kollegen haben mich mehrfach darauf hingewiesen, dass ich wohl wüsste, wie man Orchestersoli spielt, aber noch wenig Erfahrung mit der Einstudierung von Orchesterstellen hatte. Es war eine Zeit der großen Umstellung – ich musste die Kollegen führen, aber in einer Form, dass sie meine Herangehensweise auch annehmen konnten. In dieser intensiven Lernphase bin ich langsam in das Orchester hineingewachsen.“

Orchesterklang stiftet Identität
Die Kammermusik hat er inzwischen fast zur Gänze eingestellt, ist aber als Gastkonzertmeister international tätig – in erster Linie beim Gulbenkian Orchester in Portugal, früher auch beim Nederlands Philharmonisch Orkest. „Diese Orchester haben keine fixen Ersten Konzertmeister, sondern laden sich für große Projekte internationale Gäste im Rotationsprinzip ein. Für mich bietet diese Tätigkeit einen interessanten Blick über den Tellerrand hinaus, weil wir uns in Wien oft als Nabel der musikalischen Welt sehen. Man darf in der Musik nicht hochmütig werden – auch an anderen Orten der Welt wird fantastische Musik gemacht.“ Vor allem die Mentalitätsunterschiede hebt er im Gespräch hervor. „Jedes Orchester hat seine starken und seine weniger starken Seiten – es gibt kein Orchester, das nur starke Seiten hat. Man erlebt umso deutlicher, dass ein Orchester keine anonyme Masse ist, sondern ein Organismus. Neben Dirigenten und Solisten sind es einzelne Orchestermusiker, die aus der Anonymität heraustreten und eine prägende Rolle haben. Nicht immer sind das die sichtbaren Positionen an den ersten Pulten“, so Zwiauer.

In Bezug auf „sein“ Orchester ist er froh, dass die Wiener Symphoniker zu den inzwischen seltenen Fällen gehören, in denen sich ein Orchester einen individuellen Klang bewahrt hat. „Das war früher viel weiter verbreitet, hat sich aber inzwischen durch die Internationalisierung und die Egalisierung des Geschmacks stark zurückgebildet.“ Auf die Frage, wodurch sich die Wiener Symphoniker diese Eigenart behalten, ist die Antwort nicht ganz einfach. „Bei vielen Orchestern, die ein eigenständiges Profil haben, ist es nicht unbedingt eine Frage des Dirigenten. Ein Dirigent kann diese Identität fördern oder ignorieren, aber er kann sie im Wesentlichen nicht verändern. Ausnahmen sind eher historische Persönlichkeiten, die über lange Zeiträume mit einem Orchester arbeiten können – Herbert von Karajan etwa.“ Auch den Probespielen misst er eine wesentliche Bedeutung bei, da dort natürlich eher Leute bevorzugt werden, die der eigenen Musizierweise nahe stehen. „Mit dem Traditionsbegriff bin ich sehr vorsichtig, weil sich Traditionen ändern. Auch die Wiener Symphoniker waren vor 20 Jahren ein anderes Orchester als heute. Wenn ein Orchester – wie im Fall der Wiener Symphoniker – den Anspruch hat, besser zu werden, dann wird es auch besser.“

Auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre angesprochen, fällt Zwiauer vor allem der offenere Zugang zum Musizieren ein, der heute international (und damit auch bei den Wiener Symphonikern) gepflegt wird. „Früher gab es eine klare Altershierarchie, in der die älteren Kollegen erwarten konnten, dass ihre Meinung als gültige anerkannt wird. Durch die starke Verjüngung des Orchesters hat sich eine Entwicklung hin zu einem natürlichen Miteinander vollzogen, die auch für mich als Konzertmeister eine wesentlich angenehmere Arbeitsatmosphäre mit sich bringt. Klarerweise betrifft diese Veränderung auch die Dirigenten. Während sie früher nicht selten als ,Feindbild‘ gesehen wurden, sind sie heute partnerschaftliche Teamworker.“

Nicht erstarren vor Demut
Zum bevorstehenden Auftritt als Solist mit den Wiener Symphonikern zeigt Zwiauer eine tiefe Bescheidenheit vor dem Werk und seiner Rolle. „Mein Lehrer Franz Samohyl hat immer gesagt, dass eine schwache Komposition einen starken Interpreten braucht und dass eine starke Komposition ebenfalls einen starken Interpreten braucht. Es gibt wohl kein Konzert, das einen höheren Anspruch an musikalische Reinheit, Klarheit und Kompromisslosigkeit des Ausdrucks in völliger Bescheidenheit der Größe des Werkes hat. Diese Herausforderung ist eigentlich so groß, dass man in völliger Demut dastehen muss, aber nicht in Demut erstarren darf. Man muss mit seinem ganzen Geist und seiner ganzen Seele diese Aufgabe mittragen und mitgestalten.“ Er ist sich bewusst, dass man als Solist mit dem Beethoven-Violinkonzert an allen großen Solisten gemessen wird, die dieses Werk aufgeführt und auf CD eingespielt haben. „Es wäre vermessen zu sagen, dass ich mich gar nicht mit den Interpretationen anderer Künstler beschäftige, aber in der unmittelbaren Vorbereitung höre ich mir nichts an und versuche, meine eigenen Lösungsvorschläge zu finden. Im Moment der Aufführung muss etwas Originäres aus einem selbst heraus entstehen. Sonst bleibt man nicht authentisch – Authentizität ist bei diesem Werk überhaupt das Wichtigste“, so Zwiauer.

Das Zusammenspiel mit dem „eigenen Orchester“ bringt natürlich eine besondere Note in die Aufführung. „Es ist ein schönes und beglückendes Gefühl, wenn man im gegenseitigen Vertrauen vom Orchester getragen wird. Ich versuche in dieser Situation die Dankbarkeit und Freude zurückzugeben, die sich in vielen Jahren gemeinsamen Musizierens entwickelt hat. Gleichzeitig ist es natürlich eine große Herausforderung, vor das eigene Orchester zu treten. Nur bin ich bei diesem Werk so bescheiden, dass die Herausforderung ohnehin eine maximale ist.“

Text und Interveiw: Christioph Kufner

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Die Wiener Symphoniker präsentierten sich unter Fabio Luisi in prächtiger Form.
Von so viel Verve lässt man sich gerne überrumpeln! Noch in den Auftrittsapplaus hinein ließ Fabio Luisi nach der Pause Robert Schumanns Dritte Symphonie explodieren: impulsiv, nervig, gespannt, aber stets mit genügend Kontrolle, welche die sauber polierten Details an die schön differenzierte Oberfläche holte.

Ebenso mitgerissen wie mitreißend folgten ihm seine prächtigen Wiener Symphoniker, machten die Vermittlung zwischen Frohsinn und Majestät im Stirnsatz dieser „Rheinischen“ zum Vergnügen. Wer dabei aber leise Sorge hegte, ob sich dieser Zugriff auch würde durchhalten lassen, wurde prompt eines Besseren belehrt.

Luisis interpretatorisches Feuer loderte ebenso im saftigen Scherzo, ließ sich in den langsamen Mittelsätzen behutsam zu Empfindsamkeit und Mystik schüren – und wärmte auch das zuletzt fast fieberhaft aufgeheizte Finale. Denn Luisis Elan ließ stets genügend Zeit für atmende Phrasen, charaktervolle Soli und in aufmerksamstem Zusammenspiel absolvierte Agogik.

Man spürte, dass Schumanns Symphonik eine gemeinsame Herzensangelegenheit von Orchester und Chefdirigent darstellt. Das gilt freilich auch für Richard Straussens „Vier letzte Lieder“, die vor der Pause ihren trauerumflorten Glanz und wehmutsvollen Zauber des Abschieds entfalten durften. Wobei im Musikverein am Sonntagabend just zu der Zeit, als in der Staatsoper den neuen Wotan stimmliche Probleme in die Knie zwangen, sängerisch keinerlei Krisenstimmung aufkam: Statt der erkrankten Dorothea Röschmann war Adrianne Pieczonka aufgeboten, die sich mit nobler Attitüde und in der mühelosen Höhe mit durchaus leuchtend aufblühenden Phrasen einen Achtungserfolg ersang. Die Feinzeichnung im Piano, das zarte Modellieren stimmlicher Valeurs liegt ihr nicht in gleichem Maße: Gewiss weiß sie zu differenzieren, verfügt dabei aber über kein ganz konzentriertes, wendiges Piano. Vielleicht wäre das Manko gar nicht weiter aufgefallen, aber: Konzertmeister Florian Zwiauer sang der Solistin sein Violinsolo mit solch betörend runder Phrasierung, makelloser Intonation, edlem Klang und nicht zuletzt auch gefühlvoller Innigkeit vor, dass er dem Abend damit überhaupt seinen schönsten, intensivsten Moment bescherte.

Bei Ligeti fehlten ein paar Meter
Eingangs hatte man sich György Ligeti gewidmet: Seine berühmten, epochemachenden Klangflächenstücke der Sechzigerjahre haben ihre Tücken. Denn selbst bei größter Proben- und Aufführungssorgfalt stellt sich die intendierte Wirkung irisierend verschwimmender Farben keineswegs von selbst ein. So fehlten auch diesmal die letzten Meter auf dem Weg zu „Lontano“. Dass man diesen überhaupt eingeschlagen hatte, ist freilich verdienstvoll, wichtig – und ein weiterer Beleg für die Vielseitigkeit der Symphoniker.

Artikel von: Walter Weidringer (die Presse)

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Der russische Weltstar und der Wiener Konzertmeister; absolute, zu weilen ein wenig kühle Perfektion und überschäumende Musizierlaune; ein alles überstrahlender, leuchtender Geigenton und einschmeichelnde Süße - Gegensatzpaare, die an diesem Abend das weite Land des hochrangigen Violinspiels sehr reizvoll ausleuchteten.

[...] Wie ein Aufatmen wirkte nach der Pause dann der strahlende Optimismus von Mozarts großer “Haffner-Serenade” mit dem Marsch KV 249. Da musizierte Zwiauer im Kreise “seiner” Wiener Symphoniker-Kollegen das reich ausgestattete Violinsolo auf die rechte wienerische Art, lupenrein bis in die höchsten Höhen und mit vielen geistvoll erfundenen “Eingängen” angereichert.

Wolfgang Sawallisch [...] koordinierte das alles mit kollegialer Umsicht. [...] Ausdauernde Zustimmung für Mullova, Szenenapplaus für Zwiauer besiegelten den Erfolg dieses schönen Abends.

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[...] Any confusion in this bizarre namegame is quickly and thoroughly dispelled by the eloquent, stylish playing of the Schubert foursome. Florian Zwiauer and Helge Rosenkranz, violinists; Hartmut Pascher, violist and Vincent Stadlmair, cellist. Formed in the mid-1970’s this Viennese ensemble displays not just the technical precision but also the interpretive cohesion that comes of seasoned togetherness.

Perhaps the defining feature of the group’s Mozart is the darkness that begins to edge even the sunniest music. [...]

[...] it must be said the Schubert players make effervescent work of the “Hunt” Quartet. Here, for once, the Mozartean sun rises on a virtually cloudless sky. What distinguishes these players’ Mozart almost as much as their clear consciounsness of its dark side is their ability to delineate the degrees and indeed the accents of that psychological nether-realm. In the “Haydn” Quartets in G (KV 387) and A (KV 464), the musicians parlay a keen sense of tempo and harmonic inflection into four part interplay that feels like Shakespeare without words. [...]

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[...] By contrast, in their justly acclaimed version from the late 1970’s, the Berg Quartet adopt policy of repeats that is the exact reverse of the Schubert Quartet’s which, with sharper focus on the dramatic content of individual movements, helps to give their performance just a shade more spontaneity. [...]

[...] The Schubert Quartet are blessed with warm, spacious spund which vividly captures their infectious vitality.

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[...] the Franz Schubert Quartett here offer an alternative whose beautiful textural clarity and vivid thematic detail many will find irresistable [...]

[...] However, to my taste, the Franz Schubert Quartett bring greater delicacy and finesse to their performance, most notably in their dynamic control and contrapuntal clarity. Try them in the first movement’s development section; their lucid counterpoint in the second movement’s introspective trio (in the tonic minor); their heartfelt expression in the “Adagio”, and the enthralling, symphonic conception of the finale. These distinguished accounts by the Franz Schubert Quartett deserve an assured place among the very best alternatives..

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